Digitale Plattformen: Chance oder Gefahr für KMU?

Die digitale Transformation bringt Plattformen hervor, die zunehmend wichtiger für das Funktionieren der Wirtschaft werden. Durch digitale Plattformen erschließen Unternehmen neue Zielgruppen oder ganze Märkte, entwickeln innovative Produkte und automatisieren den Kontakt mit Zulieferern und Kunden.

Digitale Plattformen haben ein disruptives Potenzial. Sind sie erfolgreich, betrifft das den ganzen Markt. Damit kommt auch der Mittelstand nicht um die Beschäftigung mit digitalen Plattformen vorbei. In den kleinen und mittelständischen Unternehmen der industrienahen Branchen nutzen bereits knapp 70 % digitale Plattformen. Der Großteil nutzt Sie dabei für den B2B-Vertrieb (49 %) und den Einkauf (47 %).

In Zukunft wird die Bedeutung von digitalen Plattformen noch zunehmen. Warum das so ist, worin die großen Potenziale von digitalen Plattformen bestehen und was das mit der digitalen Transformation und welche Chancen und Risiken das für KMU bietet, erklären wir in diesem Artikel.

Der Siegeszug der digitalen Plattformen

Eine digitale Plattform verbindet zwei Gruppen für den Austausch von Informationen und Leistungen – zum Beispiel Kunden mit Lieferanten, Lieferanten mit Dienstleistern Die Kommunikation funktioniert dabei nach gewissen Regeln, die vom Plattformbetreiber festgelegt werden. Eine digitale Plattform ist im Wesentlichen eine Dreiecksbeziehung zwischen Plattformbetreiber, Anbieter und Kunde.

Bei digitalen Plattformen handelt es sich um sogenannte “Two-Sided Markets”, bzw. zweiseitige Märkte. Ein zweiseitiger Markt ist dabei weder auf den Business-Sektor beschränkt, noch ist er notwendig digital. Auch eine Dating-App oder ein Flohmarkt sind digitale Plattformen.

Aber erst im Zusammenhang mit Industrie 4.0 bekommen die zweiseitigen Märkte in Form digitaler Plattformen zunehmend größere Bedeutung. Denn durch Industrie 4.0 verändern sich die Anforderungen an eine moderne Produktion. Sie muss einerseits schnell nach oben skalierbar sein, andererseits eine hohe Individualisierung der Produkte bieten.

Dies zeigt sich exemplarisch in der deutschen Automobilindustrie. Das vernetzte Auto ist längst Realität. Schon heute verarbeitet ein durchschnittliches Auto bis zu 25 Gigabyte Daten pro Fahrtstunde. Autos produzieren aber nicht nur Daten, sondern werden sie in Zukunft auch verarbeiten. Das Auto wird damit zunehmend ein integraler Bestandteil der digitalen Welt des Nutzers. Die Automobilindustrie arbeitet daran, eine reibungslose Nutzererfahrung zu schaffen, indem sie diese Daten nutzt, um dem Kunden passende Produkte und Dienstleistungen anzubieten.

So verdienen digitale Plattformen ihr Geld

Jede digitale Plattform besteht aus einem Kern und der Peripherie. Der Kern bildet das Herz einer digitalen Plattform. Auf ihm baut die Peripherie auf. Peripherie sind Produkte oder Dienstleistungen, die auf Grundlage der Plattform für die Endkunden entwickelt wurden.

Der Betreiber einer Plattform hat grundsätzlich zwei Möglichkeiten, mit seiner Plattform Geld zu verdienen. Entweder über die Peripherie oder über den Endkonsumenten.

Ein verbreitetes Geschäftsmodell ist die Subventionierung der einen Quelle durch die andere. Zum Beispiel haben die großen Spielkonsolenhersteller ihre Konsolen bereits unter Produktionskosten auf dem Markt gebracht, weil Sie so den Endkunden langfristig an das eigene Ökosystem binden. Dafür bezahlen wiederum die Entwickler eine Lizenzgebühr an den Konsolenhersteller. Je mehr Kunden er so auf seine Plattform ziehen kann, desto interessanter wird es wiederum für die Entwickler, für die Plattform zu produzieren.

Die Grundlage in jedem Geschäftsmodell ist dabei ein funktionierendes Ökosystem.

Der Plattformbetreiber kann in der Theorie zwar die Regeln der Plattform bestimmen, in der Praxis bekommen solche Plattformen aber die Gestalt eines sich selbst regulierenden Systems. Denn nur wenn die Plattform weiterhin attraktiv für Endkunden und Entwickler bleibt, wandern diese nicht zur Konkurrenz ab.

Was passiert, wenn ein Betreiber sein Geschäftsmodell ändert und dabei das Ökosystem falsch einschätzt, lässt sich zum Beispiel an der Plattform Kleiderkreisel studieren. Ursprünglich wurde Kleiderkreisel als rein digitaler Marktplatz gegründet, der die technische Infrastruktur bereitstellt, damit Nutzer untereinander Kleidung verkaufen können. Dieses Konzept war erfolgreich und ein gesundes Ökosystem entstand. Die Plattform war so aber nicht profitabel. Daher schoben die Betreiber ein eigenes Zahlungssystem dazwischen, sodass die Plattform zwischen allen Transaktionen der Nutzer steht. Die Grundregeln der Plattform wurden grundlegend verändert. Die Nutzer reagierten darauf kurzfristig sehr negativ und in kürzester Zeit schossen viele Konkurrenzplattformen aus dem Boden. Langfristig konnte Kleiderkreisel das eigene Ökosystem stabilisieren, allerdings zeigt dieses Beispiel, wie wichtig und zugleich, wie fragil das Ökosystem einer digitalen Plattform sein kann.

Warum digitale Plattformen für die Wirtschaft immer wichtiger werden

Digitale Plattformen verändern die Wirtschaft grundlegend. Die klassischen einseitigen Märkte werden zunehmend durch zweiseitige Märkte abgelöst. Die Geschäftsmodelle sind dabei auf funktionierende Ökosysteme angewiesen. Nur so können die Effekte entstehen, die digitale Plattformen wichtig und attraktiv machen.

Schnelles Wachstum und Netzwerkeffekte

Ein wichtiger Faktor für die Verbreitung von Plattformen liegt in den Plattformen selbst. Weil die Plattformen systematisch auf eine große Nutzerzahl angewiesen sind, um als Plattform zu funktionieren, müssen Sie gerade in der Frühphase möglichst schnell wachsen. Ein funktionierendes Geschäftsmodell, mit dem Gewinne erwirtschaftet werden, spielt eine untergeordnete Rolle. Große Plattformen wie Facebook waren über Jahre nicht profitabel – und wurden trotzdem regelmäßig mit hohen Beträgen bewertet.

Schnelles Wachstum ist für digitale Plattformen wichtig, weil es nur so zu Netzwerkeffekten kommen kann. Netzwerkeffekte sind einer der wichtigen Gründe für das disruptive Potenzial digitaler Plattformen.

Netzwerkeffekte sind einfach erklärt: Je mehr Nutzer eine Plattform hat, desto höher der Nutzen für alle Teilnehmer. Soziale Netzwerke werden beispielsweise umso interessanter für den Einzelnen, je mehr Menschen er potenziell auf der Plattform treffen kann.

Skalierbar und individualisierbare Produktion

Seit von der Industrie 4.0 gesprochen wird, ist auch von der Losgröße 1 als Ziel der digitalen Transformation die Rede. Die Losgröße 1 steht dabei für die industrielle Herstellung vollständig individualisierter Produkte und Dienstleistungen. Das Ziel ist eine Massenproduktion, die trotzdem für jeden Kunden Sonderanfertigungen produziert.

Denkbar wird das durch Techniken wie Automatisierung, 3D-Druck, IoT – und digitalen Plattformen. Denn die Losgröße 1 kann nur dann erreicht werden, wenn Individualisierung mit hoher Skalierbarkeit der Produktion verbunden werden kann. Da digitale Plattformen in sich modular strukturiert sind, bilden diese eine gute Grundlage.

Dies zeigt sich zum Beispiel in der Transformation der bekannten ERP-Systeme. Wurden diese früher direkt beim Unternehmen auf dem eigenen Server betrieben, mieten Unternehmen heute die Software beim Hersteller, der sie auf den eigenen Serverfarmen betreibt. Dadurch lässt sich das System bei Bedarf nahezu beliebig skalieren. Dank eines funktionierenden Ökosystems mit Drittentwicklern bestehen für das Unternehmen gleichzeitig umfangreiche Individualisierungsmöglichkeiten, um das System auf seinen Bedarf anzupassen.

Anreize für Innovation

Auch das Innovationsmanagement wird durch digitale Plattformen modernisiert. Durch die Trennung von Kern und Peripherie ist der Kern wiederverwendbar und die Peripherie kann anlassbezogen beschafft werden. Dadurch sinken die Kosten und Innovationen können schneller realisiert werden.

Senkung der Transaktionskosten

Digitale Plattformen senken die Transaktionskosten. Alle Kosten, die mit dem Kauf und Verkauf von Waren und Dienstleistungen verbunden sinken, wenn statt der klassischen einseitigen Märkte eine zweiseitige Plattform genutzt wird.

Dies zeigt sich zum Beispiel in der Musikindustrie. Musste ein Musiker früher erst ein Label finden, das die Produktion seiner CD vorfinanziert und anschließend vertrieb, lädt er seine Musik heute einfach auf einer der einschlägigen Plattformen hoch und macht es so unmittelbar einer riesigen Zielgruppe zugänglich. Auch die Labels profitieren letztlich von diesen Plattformen, denn auch für sie sinken die Transaktionskosten.

Offene, halb offene und geschlossene Plattformen

Nicht jede Plattform funktioniert gleich. Sie unterscheiden sich anhand der Zugangsbeschränkungen und geltenden Regeln innerhalb des Ökosystems. Schematisch lässt sich zwischen offenen, halb offenen und geschlossenen Plattformen unterscheiden.

Offene Plattformen: Eine offene Plattform ist zum Beispiel das Betriebssystem Linux. Der Source Code des Linux Kernels liegt kostenlos und für alle Menschen jederzeit zugänglich bereit und kann beliebig verändert werden.

Halb offene Plattformen: Ein Beispiel für eine halb offene Plattform ist eine Entwickler-API, zum Beispiel für Amazon Web Services (AWS). Über eine API bietet ein Softwarehersteller externen Entwicklern Zugriff auf Funktionen des Programms. Der Zugang ist dabei aber durch die Limitierungen der API eingeschränkt. APIs verdeutlichen auch die fließenden Übergänge zwischen offenen, halb offenen und geschlossenen Plattformen. Unterschiedliche APIs bieten Entwicklern unterschiedlich viele Freiheiten.

Geschlossene Plattformen: Eine geschlossene Plattform ist beispielsweise das Betriebssystem Microsoft Windows. Microsoft entwickelt die Plattform Windows und stellt Sie zur Verfügung. Entwickler können Software für die Plattform programmieren, sie müssen sich dabei an die Regeln des Betriebssystems halten. Im Gegensatz zu Linux-basierten Betriebssystemen ist der Quellcode von Windows nämlich geheim und darf nicht verändert werden.

Sowohl geschlossene als auch offene und halb offene Plattformen können auf dem Markt erfolgreich sein. Jeder Plattformbetreiber muss zwischen Kontrolle und Verbreitung abwägen. Eine offene Plattform verbreitet sich im Regelfall schneller, als Betreiber haben Sie aber keine Kontrolle über die Entwicklung der Plattform. Das kann wiederum positive oder negative Effekte mit sich bringen.

Facebook war ursprünglich nur eine kleine Plattform für die Studierenden einer einzigen Universität. Dass die Plattform sich so verbreitet hat, liegt daran, dass prinzipiell keine Zugangshürde eingebaut wurde. So verbreitete sich Facebook schnell auch an anderen Universitäten und schließlich in der ganzen Welt.

Ein Beispiel für eine negative Wirkung einer offenen Plattform sind die ersten Spielkonsolen in den 1980ern Jahren. Im Zuge des ersten großen Gaming-Hypes wollten die großen Konsolenhersteller wie Atari immer mehr Spiele auf den Markt bringen. Um das zu erreichen, konnte praktisch jeder Spiele für die Konsole programmieren und veröffentlichen. Eine Qualitätskontrolle fand de facto nicht statt. Dies führte letztlich zum Zusammenbruch der Firma.

Umgekehrt kann eine geschlossene Plattform dazu führen, dass die Hürden zu groß sind und die kritische Masse an notwendigen Nutzern nie erreicht wird.

Zwischen Kontrolle und Verbreitung gibt es damit einen U-förmigen Zusammenhang. Zu geschlossene Plattformen bauen keine nennenswerte Nutzerzahl und damit kein funktionierendes Ökosystem auf, zu offene Plattformen sind träge und meist nicht innovativ.

So sollten KMU digitale Plattformen nutzen

Digitale Plattformen verändern die Märkte grundlegend und diese Entwicklung ist längst nicht abgeschlossen. Mit ihrem Siegeszug ändern sich nicht nur die Verhältnisse auf den Märkten, sondern auch die Ansprüche von Kunden. Wegen der guten Skalierbarkeit, große Netzwerkeffekte und niedrigeren Transaktionskosten sind digitale Plattformen in vielen Branchen und Bereichen die Zukunft.

Grundsätzlich sollten KMU beim Aufbau eigener Plattformen aber vorsichtig sein. Insbesondere der Aufbau einer technischen Plattform mit einem eigenen Ökosystem ist mit hohen Kosten verbunden, ohne dass hiervon mittelfristig Gewinne zu erwarten sind. Hier haben große Konzerne einen Vorteil. Kleine und mittelständische Unternehmen haben den Vorteil, schneller und agiler reagieren zu können als große Unternehmen. Diesen Vorteil sollten sie nutzen und sich auf die Bereiche konzentrieren, bei denen direkter Kontakt zu Kunden und Geschäftspartnern besteht.

In diesen Bereichen ist die Nutzung oder der Aufbau digitaler Plattform auch für kleine und mittelständische Unternehmen sinnvoll:

  • Automatisierung des B2B-Vertriebs über fremde Plattformen (z.B. LinkedIn)
  • Aufbau einer eigenen Handelsplattform/Nutzung bestehender Plattformen (z.B. Amazon)
  • Nutzung von Plattformen für Datenauswertung
  • Nutzung von Plattformen zur Schaffung dezentraler Wertschöpfungsnetzwerke (z.B. Vermietung von freigewordenen Produktionskapazitäten)

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